Sehr bald gab es aber auch ganz andere Stimmen, die einen radikalen Bruch mit der Geschichte forderten und einen jahrelang anhaltenden ideologischen Druck in der Phase der Stadtenttrümmerung und der ersten Planungskonzepte ausüben sollten. Im Jahre 1950 wurde in der DDR der planmäßige Wiederaufbau der zerstörten Städte beschlossen und ein Aufbaugesetz erlassen, das den rechtlichen Rahmen für die Enteignung der Ruinengrundstücke in den Aufbaugebieten darstellte.
Von April bis Mai 1950 waren Vertreter des Ministeriums für Aufbau (aus Dresden mit dabei Kurt W. Leucht) in Moskau in stalinistischer Architektur geschult worden. Die ideologische Vorgabe wurde in einem sozialistischen Katechismus, in den Sechzehn Grundsätzen des Städtebaus zusammengefasst. Es heißt darin: "Das Zentrum der Stadt ist der politische Mittelpunkt für das Leben seiner Bevölkerung.... Auf den Plätzen im Stadtzentrum finden die politischen Demonstrationen, die Aufmärsche und Volksfeiern an Festtagen statt."
Bis zur Grundsteinlegung der Altmarkt- Westseite am 31.05.1953 stand fest, dass der Altmarkt zum zentralen Aufmarschplatz bestimmt werde, dass seine ursprüngliche Fläche dementsprechend vergrößert werden müsse und dass zwischen Postplatz und Pirnaischem Platz eine Ost- West- Magistrale für "fließende Demonstrationen" anzulegen sei. Ein monumentales Turmhochhaus als "Stadtkrone" sollte die neue Gesellschaftsmacht symbolisieren. Die Entwürfe dazu lehnten sich strikt an sowjetische Vorbilder an. Zur gleichen Zeit wurde in Warschau eines der letzten dieser Art, als Geschenk Stalins an die polnische Nation, verwirklicht.
In einem 1952 ausgelobten städtebaulichen Wettbewerb hatte es durchaus Beiträge gegeben (Bärbig, Rauda, Jähnig, Rötschke), die sich den Vorgaben verweigerten, weil die Gefahr erkannt wurde, dass damit die gewachsene Struktur des Zentrums und die Elbsilhouette endgültig geopfert würde, was im Falle der 800m langen und überbreiten Wilsdruffer Straße auch tatsächlich geschehen ist. Gegen solche von der Parteilinie abweichenden Meinungen wurde sehr bald mit äußerster Schärfe vorgegangen.
Die Entwürfe Herbert Schneiders, der zum Chefarchitekten der Stadt avancierte, glichen am ehesten den sowjetischen Vorbildern und wurden nach einem weiteren Wettbewerb Ende 1953 bestätigt.
Schaubild für ein "Haus der sozialistischen Kultur" an der Altmarkt- Nordseite, 1953
Architekt Herbert Schneider
Mitte der fünfziger Jahre, die Altmarktbebauung der West- und der Ostseite war gerade fertiggestellt, gab es einen Kurswechsel im Bauwesen: die Abkehr von den traditionellen Bauweisen der Stalin- Ära und die Hinwendung zum industriellen Bauen. Dafür steht die Nordseite der Wilsdruffer Straße. Unberührt davon wurde die Idee des Hochhausvorhabens aufrecht erhalten. Als im Dezember 1959 - immerhin 6 Jahre nach Stalins Tod - dazu ein Wettbewerb ausgeschrieben wurde, galten noch die gleichen Vorgaben wie 1953.
Die meisten der 28 Teilnehmer folgten der Direktive und lieferten ein Hochhaus ab, obwohl auch damals hätte klar sein müssen, dass es als Gebäudetyp für ein Kulturhaus völlig ungeeignet ist. Einige wenige Beiträge versuchten einen Kompromiss in Form eines Campanile neben einem Saalbaukörper. Nur die Arbeit, die am Lehrstuhl von Prof. Leopold Wiel an der TH Dresden entstanden war, verzichtete auf die Höhendominante und brachte einen quaderförmigen Baukörper mit einer bekrönenden kuppelartigen Schale in Vorschlag. Der Entwurf überzeugte mit der besten funktionellen Lösung, die auch ein Verdienst von Klaus Wever war, einem jungen Assistenten am Lehrstuhl, der kurz vorher zum gleichen Thema eine exzellente Diplomarbeit vorgelegt hatte. Nur ideologisch lag er damit völlig schief, da er eben keine Turmlösung vorschlug und das geforderte Thälmann- Denkmal als Bodenmosaik im Treppenhaus vorgesehen war.
Nachdem mehr als ein Jahr versucht worden war, aus den vorliegenden Ideenentwürfen eine konsensfähige Lösung zusammenzustellen, nahm die Diskussion eine überraschende Wendung. Sowjetische Experten, denen man die Wettbewerbsentwürfe zur Begutachtung vorgelegt hatte, sprachen sich eindeutig für den Entwurf von Prof. Weil aus. Dies musste von der Partei- und Stadtführung in Dresden akzeptiert werden. Nach einer Überarbeitung des Entwurfs und nachdem vom Institut für Technologie kultureller Einrichtungen unter Leitung von Prof. Hemmerling die Vorplanung der Bühnen- und Saaltechnik hinzugekommen war, wurde das Projekt zur eigentlichen Planung und Durchführung an die Architekten Wolfgang Hänsch und Herbert Löschau im VEB Hochbauprojektierung Dresden gegeben.
"Haus der sozialistischen Kultur"
Wettbewerbsbeitrag TU Dresden, Lehrstuhl Prof. Wiel, 1960
Das Schlimmste war für Dresden vorübergegangen, wenngleich seither die Altstadt durch die zu breite Wilsdruffer Straße gespalten ist. Im Jahre 1969 wurde das inzwischen als "Kulturpalast" bezeichnete Haus eröffnet.
Die innere Organisation des Hauses ist auf vielseitige Nutzungsmöglichkeiten ausgelegt. Den Kernbereich mit großem Saal und Bühne umgeben in mehreren Geschossen Foyers, Gesellschafts-, Klub-, Kongress-, Ausstellungs- und Probenräume, ein Studiotheater, eine Gaststätte sowie Künstlergarderoben und Verwaltungsräume.
Im großen Mehrzwecksaal lassen sich mittels einer kippbaren Parkettfläche und austauschbarer Möbel Reihenbestuhlung, Kongressbestuhlung und Tischmöblierung einrichten. Dank der eingebauten Saal- und Bühnentechnik sind alle Forderungen nach unterschiedlicher Nutzung bestens zu erfüllen.
Blick in den Mehrzwecksaal bei Konzertnutzung
Architekten Hänsch/Löschau
Die Hauptnutzungen des Mehrzwecksaales für maximal 2430 Sitzplätze sind:
- Sinfoniekonzerte | natürliche Akustik |
- Veranstaltungen der Unterhaltungskunst | elektroakustische Beschallung |
- Kongresse und Tagungen | elektroakustische Beschallung |
- Bälle, Bankette, Gesellschaftstanz u.a. | elektroakustische Beschallung |
Wie das Beispiel Dresden beweist, ist das Modell hinsichtlich der Variationsmöglichkeiten durchaus erfolgreich.
Nur die Konzertakustik stellt insbesondere bei großen Sälen ein nahezu unlösbares Problem dar. Hier liegt der Grund, weshalb seit 1990 über einen Umbau des Saales im Kulturpalast nachgedacht wird.
Die technischen Parameter für natürliche Akustik bei Sinfoniekonzerten sind sehr verschieden von denen der Elektroakustik, die bei allen anderen Veranstaltungsarten eingesetzt wird. Sie lassen sich genau genommen in einem Raum gar nicht vereinen, allenfalls auf durchschnittlichem Niveau ausbalancieren. Dass nur in einem "reinen" Konzertsaal, der allein nach raumakustischen Gesetzen gebildet ist, optimale Werte erzielbar sind, beweisen die renommierten alten Konzertsäle, aber auch die Neubauten der letzten Jahrzehnte.
Akustische Gutachten und kritische Beurteilungen von Fachexperten zum Saal liegen in ausreichendem Maße vor:
" Für die Dresdner Philharmonie als europäisches Spitzenorchester ist der Festsaal des Kulturpalastes in seinem derzeitigen Zustand als Konzertsaal auf Dauer unzulänglich. Dresden benötigt einen Konzertsaal für die Philharmonie für 1800 bis 2000 Besucher, einen Kammermusiksaal für 800 bis 1000 Besucher und eine Stadthalle bzw. ein Kongresszentrum. Die Funktionen zwingen zu Einzweckbauten für Konzert- und Kammermusiksaal. Damit sind die drei Gebäude in ihren Funktionen gegenseitig nicht austauschbar. Eine Lösung, bei der die Dresdner Philharmonie mehrere Jahre lang ohne geeignete Spielstätte mit ausreichender Kapazität auskommen müsste, ist zwingend auszuschließen. Ein hochwertiger Konzertsaal der Philharmonie kann auch für die Sächsische Staatskapelle attraktiv sein. Eine gemeinsame Projektentwicklung durch Landeshauptstadt und Freistaat ist deshalb anzustreben." |
Um eine bessere Konzertakustik zu erreichen, sind grundlegende Veränderungen der Saalgeometrie erforderlich, so die Verringerung der Raumbreite und Schaffung seitlicher Reflexionsflächen, die Vermeidung der großen Überkragung des Ranges, eine entschiedene Verringerung der Podiumsbreite, eine grundlegende Veränderung der Deckengeometrie und eine weitaus stärkere Gliederung der Raumelemente.
Voruntersuchungen der Architekten, den bestehenden Saal unter Beibehaltung seiner Grundform nur in seiner inneren Auskleidung zu verändern, ihm eine Rechteckform oder die Gestalt eines Amphitheaters zu geben, wurden von den Akustikern dahingehend beurteilt, dass letztgenannte Variante als aussichtsreichste zur Weiterarbeit empfohlen wurde.
Dementsprechend ist in der seit 1998 von der Stadt beauftragten Vorplanung und in der nachfolgenden Entwurfsplanung dieser Weg verfolgt worden, innerhalb der bestehenden Außenwände und des Dachtragwerkes dem Saal die geometrische Ausformung zu geben, die 1963 erstmalig in der Berliner Philharmonie erfolgreich geschaffen wurde und seither in der Welt zahlreiche Nachfolger gefunden hat.
Planung zum Umbau des Kulturpalastes
zur Dresdner Philharmonie
Entwurfsplanung Schölzel/Kämmler
unten: bisheriger Mehrzwecksaal, 1969
oben: geplanter Saal, 2001
Die von den Akustikern am Arbeitsmodell gemessenen Werte zeigen, dass der neu geplante Konzertraum den Vergleich mit erstrangigen Konzertsälen standhält. Der neue Saal baut sich wie eine Schüssel auf. Er besteht aus dem Parkett und zwei Rängen, die sich terrassenförmig nach vorn abtreppen. Der erste Rang umzieht als Chorempore das Podium, kann aber auch mit Publikum besetzt werden. Die Sitzplatzkapazität beträgt, einschließlich Besetzung der Chorempore, 2100 Plätze. Sie verringert sich bei Konzerten mit Chor auf 1950 Plätze. Alle Plätze haben guten Sichtkontakt zum Orchesterpodium, eine erste Vorbedingung für die Akustik.
Besonderes Augenmerk wurde dem Orchesterpodium und der schallreflektierenden Einfassung gewidmet, weil das gegenseitige Hören für das Musizieren sehr wichtig ist. Elektromotorisch angetriebene Scherenhubpodien erlauben eine variable Orchester- und Bühnengestaltung . Über das Podium und die Chorempore spannt sich ein Plafond, der in zwei Richtungen konvex gekrümmt ist. Aus ihm kann im Bedarfsfall ein kleinerer Plafond herausfahren und über dem Orchester in beliebiger Höhe einen "Schalldeckel" bilden.
Neben den Konzerten sind durchaus andere Veranstaltungen denkbar, soweit sie mit den Gegebenheiten einer derartigen Arena- Bühne auskommen. Nicht geeignet ist solch eine Bühne allerdings für Veranstaltungen, die eine gerichtete Kastenbühne mit Rückprospekt und Kulissenaufbauten, gedeckte seitliche Auftritte oder gar Bühnenverwandlungen benötigen.
Die rechte Seitenwand hinter der Chorempore wird vom Prospekt einer großen Konzertorgel eingenommen.
Der geplante Konzertsaal, 2001
Blick zur Bühne
Architektengemeinschaft Kulturbauten
Schölzel/Kämmler
Alle anderen Funktionsbereiche des Hauses bleiben prinzipiell bestehen, werden teilweise neu geordnet und baulich und technisch saniert. Da das Raumprogramm der Dresdner Philharmonie nicht die gesamte Kubatur des Kulturpalastes ausfüllt, können einige Flächen vermietet werden. Erstrebenswert ist, dass die weitgehend geschlossene Erdgeschosszone geöffnet und mit Läden und Gaststätten attraktiver und einladender ausgebildet wird, ähnlich wie es mit der Vorverkaufskasse an der Schlossstraße schon geschehen ist.
Wenn in den nächsten Jahren die Neumarktbebauung herangeführt wird, muss die Anlieferung auf der Rückseite neu gestaltet werden. Für eine Konzerthaus sind Lastentransporte allerdings weitaus geringer als bei der bisherigen Stadthallenfunktion.
Alle städtebaulichen Fragen zur Anbindung an die künftige Bebauung des Neumarktbereiches bis zur Schlossstraße sind in enger Abstimmung mit dem Stadtplanungsamt erfolgt. Der existierende Entwurf einer Gestaltungssatzung sieht vor, soweit es noch möglich ist, die benachbarten Baublöcke auf dem alten Stadtgrundriss in kleinteiliger Parzellenstruktur wieder erstehen zu lassen. In der städtebaulichen Konzeption ist eine Anzahl der Häuser von herausragender bau- und kunstgeschichtlicher Bedeutung zu "Leitbauten" deklariert worden, die sich gerade zwischen Schlossstraße und Jüdenhof konzentrieren.
Seit geraumer Zeit gibt es einen Bebauungsvorschlag der Sachsenbau Chemnitz GmbH, der die meisten Vorgaben unbeachtet lässt und sich auch nicht dem bestehenden Gebäude anfügt, sondern der das gesamte Gebiet zwischen Altmarkt und Sporergasse, zwischen Schlossstraße und Galeriestraße / Jüdenhof als ein Baufeld betrachtet. In ein Großgebilde mit Kaufgalerie und Hotels soll die künftige Dresdner Philharmonie integriert werden.
Bebauungsvorschlag
Altmarkt Nordseite/Schlossstraße, 2002
Sachsenbau Chemnitz GmbH, Prof. Kollhoff
Gegen die Art, wie mit dem bestehenden Gebäude umgegangen wird, aber auch zu dem städtebaulich- architektonischen Konzept gibt es im Vorfeld einer Entscheidung durch den Stadtrat, von vielen Seiten heftige Kritik. Die Sächsische Akademie der Künste hat sich ebenfalls eingeschaltet.
Es ist unannehmbar, dass die künftige Dresdner Philharmonie hinter Hotel- und Kaufhausfassaden verschwinden und als bedeutendes Kulturinstitut keinerlei städtebauliche Repräsentanz mehr besitzen soll. Zugunsten der Interessen des Privatinvestors, möglichst viele Handelsflächen zu bekommen, wird das Gebäude des Kulturpalastes beschnitten und "verbaut", so dass es als Organismus nicht mehr funktioniert. Es müsste weitgehend in seinem räumlichen, technischen und konstruktiven Gefüge abgerissen und verändert wieder erbaut werden, was ursprünglichen Absichten in keiner Weise entspricht und ein unvertretbares finanzielles Risiko bedeutet.
Die schräg durch den Komplex geführte Kaufpassage mit einer Glaskuppel steht der Stadtstruktur völlig entgegen und ebenso der erklärten Absicht, in diesem Gebiet den historischen Grundriss auf den alten Parzellen wiederzugewinnen. Die Schlossstraße als wichtigste Fußgängerachse zwischen der Alt- und der Neustadt wird in ihrer Bedeutung entwertet, weil die Passanten in eine Kaufgalerie gelockt werden.
Schließlich müsste das Vorziehen der Bebauungsgrenze zum Altmarkt neu bedacht werden. Es entsprach zwar zur Zeit der Investorenauslobung noch dem städtebaulichen Ziel, die Breite der gesamten Wilsdruffer. Straße zu verringern. Mittlerweile ist die Wohnbebauung der Nordseite der Wilsdruffer Straße saniert und kann nicht verändert werden. Das Stadtplanungsamt muss überlegen, ob ein Vorrücken der Bauflucht um ca. 30 Meter und ein Verstellen des Kulturpalastes noch sinnvoll und wünschenswert ist.
Es ist klar, dass der Kulturpalast nicht mehr beliefert werden kann, wenn an seine nördliche Seite direkt angebaut würde. Dafür gibt es den Vorschlag, unterirdisch von der Wilsdruffer Straße anzuliefern. Nachteilig und ein kaum lösbares Problem dürften dabei allerdings die LKW- Rampen sein.
Die Forderung nach einem erstrangigen Konzertsaal für die Musikstadt Dresden, die sich glücklich schätzen kann, über zwei Spitzenorchester zu verfügen, bleibt dann allerdings weiter bestehen.
Literatur